Scharfe Kontroverse um Berliner Azubi-Sonderweg
Die Berliner Wirtschaft ist außer sich. „Die Ausbildungsplatzumlage ist eine Behörde, die Geld umverteilt. Das ist bürokratischer Irrsinn, der darüber hinaus geeignet ist, dem Wirtschaftsstandort erheblichen Schaden zuzufügen“, sagt Manja Schreiner, Chefin der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK).
Hintergrund ist der Plan von Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD), eine sogenannte Ausbildungsplatzumlage für Betriebe einzuführen. Ende 2025 sollen in Berlin insgesamt 34.853 Menschen in Ausbildung sein, Ende 2023 waren es 2000 weniger. Wird das Ziel nicht erreicht, soll die Umlage kommen. Es gebe 22.152 ausbildungsplatzsuchende Jugendliche, aber nur 15.957 betriebliche Ausbildungsplatzangebote. „Das zeigt die Schieflage“, so Kiziltepe.
Die Umlage sei eine „solidarische Umverteilung“, die die Unternehmen unterstütze, Fachkräfte von morgen auszubilden. Sie soll bei 0,1 bis 0,4 Prozent der Bruttolohnsumme des jeweiligen Unternehmens liegen; kleine Firmen sind ausgenommen. Pro Azubi bekommen Firmen, die ausbilden, Mittel aus der „Ausbildungskasse“ gezahlt. Wie viel genau, das ist noch offen.
Die Umlage sei für das Ziel, mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen, nicht nur ungeeignet, findet hingegen Schreiner, sondern „definitiv kontraproduktiv“, so die IHK-Chefin gegenüber dem „Tagesspiegel“. Aktuell zähle die Hauptstadt fast 12.000 freie Ausbildungsstellen. „Die verfügbaren Plätze sind also nicht das Problem, sondern das Matching“, sagt Schreiner.
Der Vorstoß zur Umlage ist bemerkenswert. Denn deutschlandweit gibt es seit Jahren viel mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. Zum Start des aktuellen Ausbildungsjahres standen 519.000 Stellen 432.000 Bewerbern gegenüber. Ende September 2024 waren noch 69.000 Stellen zu vermitteln. Jedoch gibt es wenige regionale Ausnahmen. In Berlin etwa ist es andersherum. Es gibt nicht genügend Ausbildungsstellen für alle Bewerber – dennoch sind viele Plätze zum Start des Ausbildungsjahres freigeblieben.
Aus Sicht der Gewerkschaften und Senatorin Kiziltepe liegt das Hauptproblem bei Betrieben, die keine Ausbildungen anbieten. Die Umlage aber sei nicht geeignet, die Grundproblematik am Ausbildungsmarkt zu lösen, sagt hingegen Dirk Werner, Bildungsökonom am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu WELT. „Generell führt eine Umverteilung von Ausbildungskosten nicht zu mehr geeigneten Bewerbern“, so der Forscher. „Unternehmen bilden aus eigenem Interesse aus, um ihren Fachkräftenachwuchs zu sichern. Den Ausbildungskosten stehen so Erträge während und vor allem nach der Ausbildung gegenüber.“
Das eigentliche Problem am Ausbildungsmarkt sei die Entwicklung im Bildungsbereich der vergangenen Jahre, heißt es bei der Handelskammer. Tatsächlich zeigen sowohl der Bundesbildungsbericht als auch eine Studie des IW: Ausbildungsstellen bleiben vor allem deshalb unbesetzt, weil es Bewerbern an Qualifikationen fehlt. Zwar spielen auch Distanzen zum Betrieb und die notorische Unbeliebtheit einiger Berufe eine Rolle.
Doch der Hauptgrund sind schlechte Schulleistungen, die oft mit mangelhaftem Deutsch korrelieren. Unter den fast drei Millionen Menschen unter 34, die keine Berufsausbildung haben, sind Nicht-Deutsche laut Bildungsministerium deutlich überrepräsentiert.
Dass die Ausbildungsplatzumlage überhaupt in Kraft treten könnte, hängt auch damit zusammen, dass eine andere vom Gesetzgeber verordnete Vorgabe bislang überhaupt keine Effekte zeigt. Im April 2024 führte die Ampelregierung die „Ausbildungsgarantie“ ein – ebenfalls ein Vorstoß der Gewerkschaften, für die sich die SPD starkmachte.
Die bisherige Bilanz ist enttäuschend. Die versprochene außerbetriebliche Ausbildung nahmen nur wenige Jugendliche in Anspruch. Man könne nicht sagen, dass die Ausbildungsgarantie eine starke Veränderung herbeigeführt habe, attestiert Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). „Die Maßnahmen wirken jedoch bestenfalls auch erst mittelfristig“, sagt der Forscher.
Bremens Erfahrungen mit der Ausbildungsumlage
Im Bundesland Bremen hat man bereits Erfahrungen mit einer Ausbildungsumlage. Seit April 2023 gilt dort das sogenannte Ausbildungsunterstützungsfondsgesetz. Firmen, die ausbilden, bekommen 2250 Euro aus dem Fonds. „Die Umlage verlagert Verantwortung, ohne die eigentlichen Ursachen für eine verbesserte Bildung oder auch mehr Ausbildung anzugehen“, kritisiert Michael Zeimet, Leiter der Aus- und Weiterbildungen bei der Handelskammer Bremen.
„Positive Effekte sind bislang nicht erkennbar – im Gegenteil.“ Obwohl das Gesetz seit zwei Jahren gilt, hat sich die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Land Bremen von 2023 auf 2024 leicht um 0,3 Prozent verringert. „Die Abgabe ist vielleicht gut gemeint, aber schlecht gemacht“, sagt Zeimet gegenüber WELT.
Seiner Ansicht nach liegen die eigentlichen Herausforderungen tiefer: So verlassen mehr als zehn Prozent der Jugendliche in Bremen die Schule ohne Abschluss. „Es mangelt an gezielter Berufsorientierung, es bestehen sprachliche Hürden und soziale Problemlagen. All das lässt sich durch eine Abgabe allein nicht lösen“, so Zeimet. Statt zusätzlicher Bürokratie brauche es gezielte Investitionen in Schulbildung, Berufsorientierung und individuelle Förderung.
Bildungsökonom Werner sieht es ähnlich. „Vielmehr haben junge Menschen zunehmend heterogenen Förder- und Unterstützungsbedarf und oft fehlt die Begeisterung für eine mehrjährige Berufsausbildung“, sagt er. „Wieso Unternehmen ‚solidarisch‘ die Förderkosten zur Integration leistungsschwächerer Jugendlicher übernehmen sollen, lässt sich bildungspolitisch schwer begründen.“
Gleichzeitig verursacht die Abgabe laut IHK in Bremen bereits jetzt erheblichen bürokratischen Aufwand. „Über ein zentrales Online-Portal müssen umfassende Angaben gemacht werden – von der Anzahl der Mitarbeitenden über die um Sonderzahlungen bereinigte Bruttolohnsumme bis zur Zahl der Auszubildenden und dergleichen mehr“, berichtet Zeimet. „Und das nunmehr jedes Jahr aufs Neue, selbst wenn der Betrieb aufgrund von Ausnahmetatbeständen von dem Gesetz gar nicht betroffen ist.“
Eine gemeinsame Meldung für mehrere Unternehmen, etwa innerhalb eines Konzerns, sei zudem nicht möglich. „Auch die Regelungen selbst sorgen für Verunsicherung – zum Beispiel zählen Volontäre als Auszubildende, betriebliche Umschüler dagegen nicht, und bei dual Studierenden hängt vieles vom Einzelfall ab“, so Zeimet.
Dass die Umlage in Berlin in Kraft wird, ist derweil noch nicht beschlossen. Der Vorstoß von Kiziltepe schreckte Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dermaßen auf, dass er sich aus dem Urlaub an die Presse wandte. Es sei jetzt „der falsche Zeitpunkt, eine Ausbildungsabgabe vorzubereiten, die die Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzlich belastet“. Kiziltepe hingegen betont, dass man sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt habe, die Umlage einzuführen, sollten die Ausbildungsziele nicht erreicht werden. Ende dieses Jahres wird dann final abgerechnet.
Jan Klauth ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Arbeitsmarkt-Themen, Bürgergeld, Migration und Sozialpolitik sowie Karriere-Themen.
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