Die meisten Beschäftigten in Deutschland machen heute "Dienst nach Vorschrift", klagt eine neue Studie. Schlimm? Überhaupt nicht! Denn das ist kein Zeichen fehlender Motivation, sondern Ausdruck von Professionalität und Selbstachtung. Und sollte in einer immer komplexeren Arbeitswelt das neue Ideal sein.

Dienst nach Vorschrift - das klingt nach Minimalismus und fehlendem Engagement. Gebetsmühlenartig wiederholen Arbeitsmarkt-Studien, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland faule, lustlose Bummelanten sind, die längst innerlich gekündigt haben. Die aktuelle Umfrage des Beratungsunternehmens Gallup haut in dieselbe Kerbe: Deutschland sei ein "Land der Lustlosen". Arbeitnehmer hätten wenig emotionale Bindung, noch viel weniger Vertrauen in die finanzielle Zukunft und kaum noch Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber. Ein Drittel wolle den Job wechseln. Und knapp vier Fünftel der Beschäftigten machten "Dienst nach Vorschrift". "Faules, verwöhntes Pack!" - denken die Autoren offenbar. Doch genau das Gegenteil ist der Fall.

Eine vernünftige Distanz zum Arbeitgeber zeugt von Professionalität und weniger emotionaler Abhängigkeit. Arbeit sollte wieder mehr als das gesehen werden, was sie ist: ein Tauschgeschäft. Leistung gegen Entgelt - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nicht zuletzt belegt die Umfrage selbst, dass die Zahl derjenigen, die innerlich gekündigt haben, gesunken ist. Es bewegt sich also etwas in die richtige Richtung.

Auch, dass "fast zwei Millionen weniger Arbeitnehmende als im Vorjahr mit Hand, Herz und Verstand bei der Sache waren", lässt sich anders lesen: zwei Millionen sind aufgewacht. Dass die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber sinkt, sollte niemanden schockieren in einer Arbeitswelt, in der auch Unternehmen immer weniger Loyalität zeigen. In einer Zeit, in der Stellenabbau und Outsourcing zum Alltag gehören, in der befristete Verträge und Leiharbeit zunehmen. Ein Arbeitsvertrag ist eben keine Einbahnstraße.

Was soll überhaupt das positive Gegenstück zum "Dienst nach Vorschrift" sein? Ein Heer Ja-Sagender, überengagierter Dauerdynamiker ohne kritischen Blick für Fehler, die ihrem Unternehmen schaden? Die ständig alles "disrupten" und über den Haufen werfen? Zu mehr und besseren Ergebnissen führt das sicher nicht.

Dienst nach Vorschrift muss heute anders gedacht werden: Er bedeutet, sich an Regeln zu halten, auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht ablenken zu lassen. Das kann die Qualität der Arbeit erhöhen, Fehler vermeiden und Stress reduzieren. Es kann auch dazu beitragen, die Work-Life-Balance zu verbessern und Burnout vorzubeugen. Er muss als Ausdruck von Selbstbewusstsein verstanden werden, von Selbstachtung, von Respekt vor der eigenen Arbeitskraft. Als Zeichen, dass Arbeitnehmer ihre Rechte kennen und wahrnehmen, dass sie ihre Grenzen setzen und verteidigen. Auch, um ihre Arbeitskraft langfristig zum Wohle ihres Arbeitgebers zu erhalten.

Arbeitsverweigerung ist er dagegen nicht. Im Gegenteil: Er ist ein Zeichen von Zuverlässigkeit und Konsequenz. In einer Zeit, in der die Arbeit immer komplexer wird, in der ständige Verfügbarkeit und Überstunden als normal angesehen werden, kann "Arbeiten nach Vorschrift" ein gesundes Gegengewicht sein. Es bedeutet, dass die Beschäftigten in der neuen Arbeitswelt angekommen sind. Die Leistungsfähigkeit ist da, nur die Zeiten und die Erwartungen an den Job haben sich geändert.

Dienst nach Vorschrift – das ist nicht sexy, dynamisch oder initiativ. Aber es ist solide, zuverlässig und nachhaltig. Für eine Gesellschaft, der vorgeworfen wird, faul geworden zu sein, ist das erfreulich. Es ist genau das, was wir in einer immer hektischeren und unsichereren Arbeitswelt brauchen. Statt an der Arbeitsethik der Beschäftigten zu zweifeln, sollte anerkannt werden, dass sie trotz historischer Unsicherheit nicht resignieren - trotz zwei Jahren Rezession in Folge. Schuld ist sicherlich nicht ihre Einstellung. Sie machen einfach nur ihren Job.

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