Die Welt verändert sich in rasantem Tempo, aber die kommende Bundesregierung von Friedrich Merz hat darauf keine Antwort. Dabei läge ein Ausweg nahe.

Erfahrene Theaterregisseure wissen das natürlich: Wenn man die Vorführung gleich mit einem Knall beginnt, ist es schwer, den Spannungsbogen zu halten. Oder sich anschließend sogar noch mal zu steigern. Und noch schwieriger wird es, wenn der Kracher passiert, bevor das eigentliche Stück losgegangen ist. 

So ergeht es in diesen Tagen der wahrscheinlichen nächsten Regierungskoalition von Union und SPD. Die Schuldenbremse im Grundgesetz mit den Mehrheiten des alten Bundestages auszuhebeln und Hunderte Milliarden extra für Rüstung und Infrastruktur zu beschließen, war machtpolitisch kühn und zwingend – diese Wende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist quasi ein historisches Vermächtnis, noch bevor die Geschichte dieser neuen Regierungskoalition begonnen hat. Doch dramaturgisch war sie geradezu unprofessionell. Nun erscheint der Niedergang vorgezeichnet, bevor Kanzler und Minister überhaupt ihren Amtseid geleistet haben. 

Natürlich ist so ein frühes Urteil hochgradig unfair, denn Politik ist mehr als nur die Inszenierung – es geht um Reformen, um Programme und echte Gesetze, die geschrieben und beschlossen werden müssen. Auch diese kommende Regierungskoalition hat eine Chance verdient, ihre Vorhaben umzusetzen – dann muss man sie messen an ihren Ergebnissen und selbstgesteckten Zielen. Das ist das Mindestmaß an Geduld, das auch eine Regierung vom eigenen Volk erwarten kann. 

Merz startet mit einem Vertrauensverlust

Dennoch entwickeln sich Stimmungen und Strömungen, ganz unabhängig davon, was kommende Kanzler und Minister gerne von sich selbst denken. Und da ist das Bild nicht gut: Nur noch 42 Prozent der Deutschen glauben, Merz werde ein besserer Kanzler sein als sein Vorgänger Olaf Scholz – 53 Prozent haben den Glauben daran bereits verloren, ergab diese Woche eine Forsa-Umfrage der Kollegen von RTL und ntv. Gerade mal 21 Prozent halten Merz noch für "vertrauenswürdig". Und erstmals könnte die AfD darauf hoffen, bei einer Bundestagswahl mehr Stimmen zu erhalten als CDU und CSU. 

Man kann solche Zahlen ganz pragmatisch wegignorieren, solange keine Wahl ansteht. Aber in Umfragen wie dieser spiegelt sich eine Ungeduld und Unzufriedenheit, die für die neue Regierung schnell zu einer echten Belastung werden kann.

Weltweiter Zollstreit "China wird diesen Krieg gewinnen"

Während ein erratischer US-Präsident in Washington schaltet und waltet, wie es ihm beliebt, und die Welt beinahe täglich mit vermeintlichen Friedensplänen, neuen Zollfantasien und sonstigen Tiraden aufschreckt, haben sich Union und SPD seltsam still zurückgezogen – wir erleben gerade eine ganze eigene Sedisvakanz dieser kommenden Regierungskoalition. Sie wartet darauf, dass die Mitglieder der SPD (von denen es offenbar noch ein paar mehr gibt als Kardinäle in der katholischen Kirche) über den Koalitionsvertrag befinden. Ein Vorgang, der sage und schreibe 14 Tage in Anspruch nimmt. Nach einem anstrengenden Wahlkampf ist das für alle Beteiligten natürlich auch eine hochwillkommene Osterpause, sie sei ihnen gegönnt. 

Doch so entsteht in dieser heiklen und hoch angespannten Zeit ein fataler Eindruck: dass die nächste Bundesregierung nämlich auf die Probleme und Herausforderungen in diesen Wochen keine wirkliche Antwort hat – und sich stattdessen schon jetzt in merkwürdige Politikersatz-Debatten verstrickt wie um die richtige Höhe und Bestimmungsweise des künftigen Mindestlohns. Als ob die gescheiterte Ampel-Koalition nicht hinreichend gezeigt hätte, wohin fruchtlose öffentliche Diskussionen und erbitterte Drohungen führen. 

Dabei gibt es Probleme, die wirklich drängen: Exakt 0,0 Prozent Wirtschaftswachstum erwartet die scheidende Regierung in diesem Jahr. Und das ist wahrscheinlich sogar eine optimistische Prognose. Weder von den an der alten Ampel beteiligten Sozialdemokraten noch von Vertretern der neu antretenden Union gab es dazu am Donnerstag ein Sterbenswort. Das wahrscheinliche Kalkül dahinter: Soll doch die Aussicht auf das dritte Jahr Rezession und Stagnation erstmal mit dem alten Wirtschaftsminister nach Hause gehen.

Die neue Bundesregierung darf keine Zeit verlieren

Doch dieses Kalkül wird dauerhaft nicht aufgehen: Denn diese 0,0 Prozent Wachstum – die sich wahrscheinlich noch zu einem weiteren Rezessionsjahr entwickeln werden – sind auch die Aussicht für die neue Regierung. Die aber hat ab dem 6. Mai noch immerhin acht Monate Zeit in diesem Jahr, um die Stimmung irgendwie zum Besseren zu drehen. Und auch die Erwartungen für 2026 sind so mau, dass man sie nur als dringende Arbeitsverpflichtung verstehen kann: Gerade mal 1,0 Prozent Zuwachs erwarten die Volkswirte im Wirtschaftsministerium für das kommende Jahr – auch das ist viel zu wenig, um damit Zuversicht zu schaffen, die Bereitschaft in Unternehmen etwa, zu investieren, oder bei den Verbrauchern, wieder einkaufen zu gehen. 

Meinung Spahn als Fraktionschef – das verschiebt die Gewichte in der CDU

Während Union und SPD ihren Koalitionsvertrag verhandelten, hat Trump die Welt und gerade Deutschland in eine Angststarre gestürzt, auf die die kommende Koalition noch keine Antwort hat. Selbst wenn man ihren Vorhaben für Steuererleichterungen, Investitionen und den Bürokratieabbau viel Vorschuss gibt, so fehlt dem Bündnis bisher eine überzeugende Erzählung, wie sie einer zunehmend chaotischen Welt trotzen und Deutschlands Wohlstand sichern will. Das große Versprechen, das aktuell neben einem Bild von Friedrich Merz auf der CDU-Homepage prangt – "Wir bringen Deutschland wieder nach vorne" – wirkt noch ziemlich ungedeckt.

Dabei liegt die Antwort eigentlich auf der Hand, sie ist auch schon angelegt im Koalitionsvertrag: Deutschlands Wirtschafts- und Wohlstandsmodell wird sich in den kommenden zehn bis 20 Jahren nicht mehr wie bisher auf den Export und den Handel mit der ganzen Welt gründen können. Neue Handelsabkommen mit Indien oder Lateinamerika sind gut und wichtig, aber sie werden kaum auffangen können, was im Handel mit den USA oder China wahrscheinlich wegbrechen wird. Statt darauf zu hoffen, dass ein US-Präsident Trump noch mal zur Besinnung kommt und seine Zollfantasien wieder aufgibt, wird es für die kommende Regierung eher darum gehen, die heimische Wirtschaft und den Binnenmarkt in Europa zu stärken. Die Ausnahme der Rüstungsausgaben von der Schuldenbremse, die 500 Milliarden extra für Infrastruktur und Investitionen in den nächsten zwölf Jahren, die geplanten Steuererleichterungen für Unternehmen und selbst die Pläne zum Bürokratieabbau können alle auf diese Idee eines neuen Wohlstandsmodells für Deutschland einzahlen: Germany first, Europe first. 

Ja, das ist ein Bruch mit dem alten Bild vom Exportweltmeister, das gerade die Union so gerne als Beweis deutscher Exzellenz und Wettbewerbsfähigkeit vor sich hergetragen hat. Aber in einer Welt, die nicht mehr so wie früher Handel betreiben will, ist dieser Bruch wohl unausweichlich. Das spüren viele Menschen, und es trägt zur großen Verunsicherung in diesen Wochen bei. Statt zu warten und zu schweigen, wäre für Merz und seine Leute gerade jetzt die Erzählung des Neuen umso wichtiger: eine Idee, was anstelle des Alten nun kommen soll.

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