Hat Trump Deutschland und Europa am Ende einen Gefallen getan?
Mit den Renditen am Anleihenmarkt verhält es sich in etwa wie mit den Ausschlägen auf der Richterskala, die die Stärke von Erdbeben misst: Das Hin und Her in den Aufzeichnungen mag klein aussehen, doch die realen Erschütterungen können gewaltig sein.
Am Abend des 4. März um kurz vor 19 Uhr lag die Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen noch bei ziemlich genau 2,5 Prozent. Als kurz darauf die Spitzen von CDU, CSU und SPD ihre Vorstellungen einer künftigen Haushaltspolitik präsentierten, schnellte die Renditekurve jäh in die Höhe – innerhalb weniger Stunden auf 2,7 Prozent. Und bis zum Donnerstagabend sogar auf mehr als 2,8 Prozent. Im Finanzjargon ist das ein Anstieg um 30 Basispunkte – 0,3 Prozentpunkte innerhalb von 48 Stunden.
Das klingt nicht nach viel. Ist es aber: Wenn es solche Ausschläge in einem derart großen und liquiden Markt wie dem für deutsche Staatsanleihen gibt, dann muss etwas wirklich Großes passiert sein. Und tatsächlich, das Aushebeln der Schuldenbremse im Grundgesetz ist groß – der Plan ist, wenn er denn alle parlamentarischen Hürden nimmt, die größte wirtschafts- und finanzpolitische Kehrtwende der letzten 30 Jahre.
Katastrophe oder Befreiungsschlag: Beides ist möglich
Das Volumen der zusätzlichen Kredite, die Union und SPD für die Aufrüstung der Bundeswehr und der Ukraine sowie für den Ausbau von Straßen, Brücken und Schienen aufbieten wollen, ist heute noch gar nicht seriös abschätzbar. Aber wahrscheinlich geht es um gut 1000 Mrd. Euro. Über den Sinn, die Risiken und die Legitimität dieser Operation ist schon viel gesagt, geschrieben und gestritten worden. Feinschmecker der Debatte verweisen gern auf den Ausschlag der Rendite: Seht her, sagen die Kritiker, diese Schuldenorgie wird uns noch teuer zu stehen kommen. Und: Da geht sie hin, die gute deutsche Bonität. Nein, erwidern die Befürworter, der Ausschlag spiegelt nur die besseren Wachstumsaussichten in Deutschland wider. Das Land wird nicht ein schlechterer, sondern ein besserer Gläubiger, weil es wieder stärker wächst.

Aufschlussreiche Grafiken Donald Trumps Wirtschaft steuert auf einen Fehlstart zu
capitalDie Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte, respektive: Beide Ausgänge sind ehrlicherweise heute möglich – es kommt eben sehr darauf an, was die Regierung mit dem Geld anstellt. Stopft sie Löcher bei den Krankenkassen, kauft für jedes Feld-, Wald- und Wiesen-Hospital noch fünf Magnet-Resonanz-Tomographen, spendiert sie sechs Monate extra beim Elterngeld und einen Bonus für die Mütter-Rente – also macht sie das, was die großen Koalitionen von 2013 bis 2021 machten –, dann kann es gut sein, dass uns die vielen neuen Schulden um die Ohren geschlagen werden.
Gelingt es der Regierung jedoch, dieser Versuchung zu widerstehen und konzentriert sie das Geld wirklich auf militärisches Gerät, eine ordentliche Ausstattung der Bundeswehr und eine Erneuerung von Straßen und Schienen, dann wird dies der deutschen und europäischen Wirtschaft einen massiven Impuls verpassen. In Kombination mit einer Agenda-Politik wie einst unter Gerhard Schröder, die sich Friedrich Merz eigentlich vorgenommen hat, sowie einer Steuerentlastung für Unternehmen und Arbeitnehmer könnte das Paket wirken wie ein Aufputschmittel, das es bisher in Deutschland auf legalem Wege nicht gab.
Was für Deutschland gilt, gilt für Europa insgesamt. Die brutale Demütigung des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus vor einer Woche hat in ganz Europa eine Emsigkeit ausgelöst, die man zuletzt 2012 in der Euro-Krise gesehen hat. Nun ist allen klar, dass auf die USA kein Verlass mehr ist. Gut so, muss man sagen – denn etliche Präsidenten vor Trump hatten die Europäer schon belehrt, sie könnten ihren Wählern nicht mehr erklären, warum die USA die Hauptlast für den Schutz Europas tragen. Nur, dass die Europäer nicht in die Pötte kamen. Das hat sich jetzt geändert.

Meinung Endlich ein Wumms, der diesen Namen verdient
capitalGerade an jenem Dienstagabend, als Union und SPD ihre Einigung verkündeten, überschlugen sich in Europas Hauptstädten die Gerüchte: Trump werde noch in der Nacht den Austritt aus der NATO verkünden, raunte man in Berlin, der polnische Regierungschef twitterte vieldeutig: "European leaders: Keep calm and carry on". Und Elon Musk, der die Aufregung amüsiert verfolgte, schrieb auf X nur vier rätselhafte Buchstaben: "FAFO". Das steht für "Fuck around and find out", was frei übersetzt ungefähr so viel heißt wie: "Du baust Mist und bekommst dafür die Quittung."
Trumps Tritt in den Hintern hat Europa gebraucht
Wahrscheinlich war es für Trump ein Heidenspaß, zu wissen, dass sich auf dieser Seite des Atlantiks Hunderte, wenn nicht gar Tausende Abgeordnete, Minister und Regierungschefs aus Angst vor einem kompletten Bruch des Atlantikbündnisses die Nacht um die Ohren schlugen. Nur, um sich einmal mehr seine Tiraden anhören zu müssen, in denen die NATO gar nicht auftauchte. Trump hat Europa den Tritt in den Hintern verpasst, den der alte Kontinent gebraucht hat. Gegen "America first" setzt Europa "Europe first" – es konzentriert sich auf das, was wichtig ist.
Zugleich stürzt Trump die US-Wirtschaft mit seiner erratischen Zollpolitik in große Unsicherheit: Das Vertrauen der amerikanischen Verbraucher ist auf dem tiefsten Stand seit 18 Monaten, die Unternehmen zögern Investitionen heraus, weil sie nicht mehr wissen, welche Regeln künftig gelten. Der in den USA lehrende deutsche Ökonom Rudi Bachmann stellt im Interview nüchtern fest: "Es ist historisch beispiellos, wie massiv die Amerikaner sich gerade ökonomisch ins eigene Fleisch schneiden." Auch das sieht man an den Märkten: Weil die US-Wirtschaft dieses Jahr wohl schwächer wachsen wird, sind die Renditen zehnjähriger US-Anleihen deutlich gesunken. Während der Dax seit Freitag vergangener Woche bis heute Nachmittag gut 2,5 Prozent zulegte, ging es für den S&P 500 bis zum Handelsstart heute um gut 2,5 Prozent hinunter.

Ökonom Bachmann "Trump fühlt sich ungerecht behandelt. Es geht um Rache an Amerika"
capitalDer britische "Economist" widmet der Lage ein ikonisches Cover: Darauf steht Donald Trump auf einem Berg von Dollarnoten, in der rechten Hand ein Benzinkanister, in der linken ein brennendes Bündel Geldscheine. Europa kann kein Interesse daran haben, dass die USA in eine echte Vertrauens- und Wirtschaftskrise abrutschen. Aber unabhängiger werden, wirtschaftlich und militärisch, das muss Europa auf jeden Fall. Und dafür war diese Woche gut. Das Fazit klingt zynisch und es fällt einem nicht leicht: Aber vielleicht müssen Deutschland und Europa Trump eines Tages mal dankbar sein.
Capital
Capital ist eine Partnermarke des stern. Ausgewählte Inhalte können Sie mit Ihrem stern+ Abo sehen. Mehr aus Capital finden Sie auf www.stern.de/capital.
- Donald Trump
- Deutschland
- Bundeswehr
- Schuldenbremse
- Rüstung
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke