Wie die Frühstart-Rente funktionieren soll
Zehn Euro pro Monat ab dem sechsten Lebensjahr: Vom kommenden Jahr an will die Koalition aus Union und SPD die Frühstart-Rente einführen. Noch ist vieles an den Plänen unklar.
Die Frühstart-Rente ist ein Teil einer von Union und SPD geplanten Rentenreform und hat es aus dem Wahlprogramm der Union in den Koalitionsvertrag mit der SPD geschafft. Sie soll junge Menschen an den Kapitalmarkt heranführen und für Themen wie die private Altersvorsorge sensibilisieren. "Wir stellen das System um", betonte CDU-Chef Friedrich Merz am Sonntagabend in der ARD.
Wie soll die Frühstart-Rente funktionieren?
Konkret soll jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, ab dem 1. Januar 2026 pro Monat zehn Euro vom deutschen Staat bekommen. Dieses Geld soll in ein "individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot" fließen.
"Der in dieser Zeit angesparte Betrag kann ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden", heißt es im Koalitionsvertrag. Die Erträge aus dem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein. Wichtig ist, dass das Geld erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze ausgezahlt werden soll - vorher hat man keinen Zugriff darauf.
"Vieles ist momentan noch unklar, etwa welcher Höchstbetrag pro Jahr festgelegt wird oder wie das Geld angelegt wird, wenn keine konkrete Anlageentscheidung getroffen wird", betont Lukas Menkhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Gespräch mit tagesschau.de. So bestehe bei einer Summe von zehn Euro die Gefahr, dass die Summe zu gering sei, um Menschen wirklich dazu zu bewegen, sich aktiv mit der Geldanlage zu beschäftigen. "Und dann stellt sich die Frage: Wie wird das Geld dann angelegt, damit es sich für die Kinder am Ende auch lohnt?", so der Experte.
Und auch der eigentlich Gedanke der Vorsorge für die Zukunft komme bei einer solchen Idee zu kurz, sagt Christoph M. Schmidt, Präsident des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und Professor an der Ruhr-Universität Bochum: "Der Staat verwendet Steuermittel, um regelmäßig auf ein Konto einzuzahlen, ohne dass die Empfänger dieser Zuwendungen damit in irgendeiner Weise Spar- oder gar Verzichtsüberlegungen anstrengen müssten. Der eigentliche Lerneffekt des Sparens - heute zu verzichten, um morgen mehr zu haben - geht dabei vollständig verloren."
Wer profitiert davon?
Wichtig ist, dass nur Kindern und Jugendlichen die Frühstart-Rente erhalten sollen, die eine Bildungseinrichtung in Deutschland besuchen - so steht es im Koalitionsvertrag. Das dürfte bedeuten, dass nur Kinder und Jugendliche die Förderung erhalten, die zur Schule gehen oder ein Studium absolvieren. Darunter dürften mutmaßlich auch Auszubildende fallen, die einen Teil ihrer Ausbildung in einer Berufsschule machen.
Allerdings muss eine solche Voraussetzung auch kontrolliert werden: "Eine Koppelung der Förderung an den Besuch von Bildungseinrichtungen würde nicht zuletzt ein bürokratisches Kontrollsystem erfordern, das hohe Verwaltungskosten verursacht", so RWI-Präsident Schmidt.
Unklar ist bislang, was passiert, wenn Jugendliche nach dem Schulabschluss und vor Erreichen des 18. Geburtstags beispielsweise ein Freiwilliges Soziales Jahr oder Freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr machen. "Gerade Kinder und Jugendliche, die keinen gradlinigen Lebenslauf haben und nicht dauerhaft eine Bildungseinrichtung besuchen, bräuchten das Geld im Alter, könnten hier aber von der Förderung ausgeschlossen werden", so Menkhoff. Auch der RWI-Präsident betont: "Wer Chancengerechtigkeit wirklich verbessern will, muss bei den Wurzeln ansetzen - und die liegen in den strukturellen Schwächen unseres Bildungssystems."
Lohnt sich die Frühstart-Rente finanziell?
Unklar ist bislang, wie genau das Geld investiert werden soll. Einzig der Hinweis, dass Geld soll in ein "individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot" investiert werden, steht im Koalitionsvertrag. Weder wer dieses Depot verwaltet, noch in welche Anlageklassen investiert werden kann, ist bislang bekannt.
Damit lässt sich auch über die finanzielle Rentabilität nur spekulieren. Wird das Geld etwa in einen ETF-Sparplan auf den MSCI World investiert, ergibt sich bei einer durchschnittlichen Rendite von sechs Prozent pro Jahr nach zwölf Jahren immerhin ein durchschnittliches Kapital von 2.101,50 Euro - bei einer Einzahlungssumme von 1.440 Euro, die komplett der Staat übernommen hat.
Ließe man diesen Sparplan bis zum aktuellen Renteneintrittsalter von 67 Jahren so weiterlaufen, ergibt sich ein Endkapital von rund 75.017 Euro vor Steuern, dass man im Rentenalter zur Verfügung hätte - bei nur 7.320 Euro, die eingezahlt wurden. Und auch wenn der ETF-Sparplan nicht weiter bespart wird, sondern die folgenden 49 Jahre ruhend gestellt wird, ergibt sich bei einer Rendite von sechs Prozent pro Jahr immerhin ein Endkapital von rund 39.461 Euro vor Steuern. Erreicht werden solche Summen aber nur bei einer angenommen Rendite von sechs Prozent pro Jahr - liegt die Rendite niedriger, ist auch das Endkapital geringer.
RWI-Chef Schmidt betont auf Anfrage von tagesschau.de: "Selbst bei optimistischen Renditen und dem Zinseszinseffekt wird das angesparte Kapital kaum ausreichen, um im Alter Versorgungslücken zu schließen." Die Frühstart-Rente erwecke eine "trügerische Sicherheit und lenkt vom eigentlichen Reformbedarf ab. Sie verlagert noch mehr Verantwortung auf den Staat, wo es doch eher darum ginge, Menschen zur selbstbestimmten Vorsorge zu befähigen."
Woher kommt die Idee?
Die Frühstart-Rente hat es aus dem Wahlprogramm der Union in den Koalitionsvertrag geschafft. Ziel des Ganzen ist laut Wahlprogramm der Union, dass junge Menschen "ein Bewusstsein für Altersvorsorge und Kapitalbildung" entwickeln.
Die Idee ist nicht neu: Bereits im vergangenen Jahr haben die Wirtschaftsweisen ein ähnliches Konzept vorgeschlagen, das sogenannte Kinderstartgeld. Auch hier sollten Kinder ab dem sechsten Lebensjahr zehn Euro im Monat bekommen, die am Kapitalmarkt investiert werden sollten.
"Die Ideen sind durchaus ähnlich, es gibt aber entscheidende Unterschiede", betont DIW-Experte Menkhoff. So sollten beim Vorschlag der Wirtschaftsweisen alle Kinder - ohne Bedingungen wie das Besuchen einer Bildungseinrichtung - berücksichtigt werden.
Außerdem schlug der Sachverständigenrat vor, dass die jungen Erwachsenen mit dem 18. Geburtstag frei über das Geld verfügen können. Danach hätten sie entscheiden können, ob sie sich das Geld auszahlen lassen oder weiter damit sparen. "Die Frühstart-Rente ist insofern sinnvoller, als das der Anlagezeitraum länger ist", so Menkhoff. Damit erübrige sich ein Teil der Kritik, die es am Kinderstartgeld gab.
Was kostet das den Staat?
Zu den Kosten hatte sich der damalige Kanzlerkandidat Merz bereits Ende vergangenen Jahres geäußert. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte er: "Bei ungefähr 700.000 jungen Menschen pro Jahrgang kostet das sieben Millionen Euro monatlich für jeden Jahrgang." Daraus ergeben sich rund 84 Millionen Euro pro Jahr für einen Jahrgang. Wird das Geld an alle zwölf Jahrgänge ausgezahlt, dürften die Kosten bei rund einer Milliarde pro Jahr liegen.
Zum Vergleich: Das Kinderstartgeld, welches die Wirtschaftsweisen im vergangenen Herbst vorgeschlagen hatten, sollte laut den Berechnungen des Sachverständigenrates rund langfristig jährlich rund 1,5 Milliarden Euro kosten. "Die Differenz von 500 Millionen Euro entsteht mutmaßlich dadurch, dass der Sachverständigenrat die zehn Euro pro Monat entsprechend der Inflation erhöhen wollte. Wie die künftige Koalition das handhaben will, wird sich sicher mit einem Gesetzesentwurf zeigen", so Menkhoff. Zudem soll das Geld beim Kinderstartgeld - wie bereits beschrieben - für alle Kinder eingezahlt werden.
Auch woher die Milliarde kommen soll, ist unklar. Experte Schmidt sieht die Einführung deshalb kritisch: "Deutschland steht vor massiven Herausforderungen bei der Finanzierung unserer Sozialsysteme, der notwendigen Infrastrukturinvestitionen und der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft." Trotz all dieser Herausforderungen plane die künftige Regierung "ein neues Ausgabenprogramm im Milliardenbereich, anstatt die dringend notwendige Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung anzugehen".
Wie sind die Reaktionen?
Grundsätzlich stößt die Idee bei Experten wie Menkhoff auf Zustimmung: "Die Idee, dass Kinder früh in Kontakt mit Aktien kommen und so die Scheu verlieren, ist richtig." Aber er betont auch: "Damit die Frühstart-Rente einen Effekt haben kann, müsste der monatliche Betrag eigentlich höher sein. Doch da sind wir dann direkt bei Fragen zur Finanzierbarkeit." Unterstützung kommt auch von den Arbeitgebern, wie der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, gegenüber der dpa signalisierte.
Allerdings gibt es auch Kritik: "Die Frühstart-Rente ist weder ein wirksamer Baustein zur Stabilisierung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) im demographischen Wandel, noch wird sie nachhaltig zur Finanzbildung der nachfolgenden Generationen beitragen können", sagt RWI-Präsident Schmidt und ergänzt: "Mehr als eine Milliarde Euro jährlich ließen sich in unserem öffentlich finanzierten Bildungssystem wesentlich sinnvoller einsetzen."
Bei Gewerkschaften stößt die Idee der Frühstart-Rente ebenfalls auf Kritik. Anja Piel, Vorstandsmitglied des DGB, sagte gegenüber IPPEN.MEDIA: "Die Wirkung ist aufgrund der Größenordnung des individuellen Sparbetrags für Versicherte sehr bescheiden. Bei zehn Euro Monatsbeitrag kommt selbst bei 60 Jahren Ansparen bestenfalls eine Rente von rund 30 Euro brutto heraus." Während der Nutzen gering sei, seien die Kosten für den Staat enorm: "Dafür kostet es für die kommenden 60 Jahre rund eine Milliarde Euro pro Jahr - was privaten Versicherungskonzernen nützt, sonst aber niemandem wirklich weiterhilft."
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