Europas wertvollstes Start-up im Bereich künstliche Intelligenz eröffnet eine Niederlassung in Deutschland. Das acht Jahre alte Unternehmen Wayve aus Großbritannien entwickelt eine KI für das autonome Fahren – und will sie nun in die Serienmodelle hiesiger Autohersteller bringen.

Dafür baut Wayve ein Entwicklungszentrum in Leonberg bei Stuttgart, dessen Mitarbeiter mit den Autoentwicklern an Projekten arbeiten sollen. Wer der Partner aus der Autoindustrie sein wird, will Wayve-Chef Alex Kendall bis jetzt nicht verraten.

Naheliegend wäre Mercedes-Benz, denn der Stuttgarter Konzern sieht sich als Vorreiter beim automatisierten Fahren. „Wir wollen mit einigen der führenden Ingenieurs- und KI-Talente in Deutschland zusammenarbeiten und mit der dortigen Automobilindustrie“, sagt Kendall im Gespräch mit WELT.

Der Gründer, der aus der KI-Forschung kommt, sieht seine Technologie als Chance für Europa, gegenüber China und den USA wieder aufzuholen. Sie unterscheidet sich grundlegend von anderen Systemen für das autonome Fahren, etwa der Google-Schwester Waymo oder der Intel-Tochter Mobileye.

Sein Konzept sei noch vor wenigen Jahren von den meisten in der Branche abgelehnt worden, sagt Kendall. „Heute sind es wir und Tesla, die diesen Ansatz verfolgen und die Grenzen verschieben.“ Anders als die sehr aufwendigen Robotaxis beispielsweise von Waymo braucht die Wayve-KI keine besonderen Sensoren und vor allem keine aufwendige Karte, um ein Auto zu steuern.

Das System soll ein eigenes Verständnis von Situationen im Straßenverkehr entwickeln und auch in unbekannten Umgebungen sicher fahren können. Seit 2018 sind Testwagen von Wayve in Großbritannien unterwegs, im vergangenen Jahr begannen Tests in den USA.

Wayve will Auto-Zulieferer werden

Nun sollen die Fahrzeuge auch in Stuttgart und Umgebung auf die Straßen kommen. Eine Genehmigung dafür habe man bereits, sagt der Gründer. Anders als bei den gängigen Autopiloten sind aber nicht Hunderttausende Testkilometer im echten Verkehr nötig, weil die KI auch mit virtuellen Daten trainiert werden kann, die wiederum von KI generiert werden.

Investoren setzen große Hoffnung auf das Konzept von Wayve. Das Start-up hat insgesamt 1,3 Milliarden Dollar (1,25 Milliarden Euro) eingesammelt, unter anderem vom Software-Riesen Microsoft, dem Chiphersteller Nvidia und dem japanischen Tech-Investor Softbank. Damit liegt es bei der Finanzierung noch vor dem französischen Start-up Mistral AI und deutlich vor den deutschen Gründungen Aleph Alpha und Helsing.

Die riesige Summe verleihe seinem Unternehmen die nötige Geschwindigkeit und Glaubwürdigkeit, um seine Technologie auf den Markt zu bringen, meint Kendall. „In diesem Stadium ist es sicherlich kein wissenschaftliches Experiment mehr.“

Der Plan des Gründers ist es, zu einem Zulieferer für die Autobranche zu werden. Einen eigenen Robotaxi-Dienst wie andere junge Unternehmen in diesem Bereich strebt er nicht an. Außerdem will Wayve nicht direkt ins voll autonome Fahren springen, sondern auch die Zwischenschritte dorthin mitmachen.

Experten stufen autonome Fähigkeiten von Fahrzeugen auf Stufen von null bis fünf ein. Dabei entspricht Level 2 den derzeit gängigen Assistenzsystemen wie beispielsweise Tempomat oder Spurhalteassistent. Ab Level 3 kann der Fahrer sich von der Straße abwenden und das Auto übernimmt zumindest zeitweise die Verantwortung. An Level 4 gibt es keinen menschlichen Fahrer mehr.

Volkswagens autonome Shuttles

Dieses Niveau strebt Volkswagen in einem gemeinsamen Projekt mit Mobileye an. „Autonome Mobilität ist nicht mehr nur Theorie, sondern sie ist im Hier und Jetzt angekommen“, sagt Johann Jungwirth, Chef der Sparte für autonome Fahrzeuge bei Mobileye.

Die Testfahrten von autonomen Shuttles der VW-Tochter Moia in der Innenstadt von Hamburg laufen bereits, noch mit Sicherheitsfahrer. Die technische Grundlage dafür sind sehr genaue Karten, entstanden aus den Daten von Tausenden bereits gefahrenen Kilometern in der Stadt. Außerdem nutzen die Moia-Fahrzeuge viele Sensoren und einen teuren Laserscanner (Lidar) auf dem Dach, um ihre Umgebung wahrzunehmen.

Daneben stattet Mobileye auch Serienfahrzeuge mit automatisierten Funktionen aus. „Unser Hands-off-, Eyes-off-System Mobileye Chauffeur soll etwa auf der Autobahn von Tempo 0 bis 130 Kilometern pro Stunde das Fahren übernehmen. Dafür haben wir Audi als ersten Kunden, mit einer geplanten Markteinführung ab 2027“, sagt Jungwirth.

Auch Bosch arbeitet an einem System für das autonome Fahren. Gemeinsam mit der VW-Softwaretochter Cariad trainiert der Zulieferer gerade die entsprechende Fahr-KI mit Daten von Millionen Kilometern echter Fahrten in ganz Europa. Die Projektgruppe hat Zugriff auf anonymisierte Daten von Fahrzeugen aus der VW-Flotte, darunter auch Videos von den Kameras an Bord.

Wayve könnte mit seinem System dazu in direkte Konkurrenz treten. Das Start-up bietet ähnlich wie Mobileye drei verschiedene Softwarepakete für unterschiedliche Automatisierungsstufen an.

Der Unterschied: Das System der Briten braucht keine besonderen Sensoren und läuft auf jeder Computerplattform. Man könne die eigene Software binnen weniger Wochen in bestehende Serienfahrzeuge integrieren, sagt Kendall. Die KI müsse lediglich lernen, das spezifische Auto zu steuern.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.

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