Was ein Finanzforscher aus dem Trump-Börsenchaos gelernt hat
Herr Hens, Sie sind einer der profiliertesten Experten für Finanzmarktdynamik. Mit Ihrer Erfahrung: Können Sie uns erklären, was da an den Märkten gerade los ist?
Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir 22 solcher Ereignisse erlebt, wie die vergangene Woche. Das letzte war die Coronakrise, und in diesen historischen Kontext muss man das auch eingruppieren. Für manche fühlt sich das wie das Ende der Welt an. Aber je älter man wird, umso mehr verrückte Tage hat man erlebt. Und ich weiß mittlerweile, dass es am Ende wieder aufwärts geht.
Auch Sie sagen also, dass Anleger Ruhe bewahren sollten?
Unbedingt. Ich kann nur sagen: Gehen Sie spazieren, genießen Sie das Wetter. Natürlich ist man geneigt, wegzulaufen. Wohl jeder denkt, dass er den Markt timen kann – aber das ist ein Trugschluss. Es gibt diesen schönen Spruch: „Hin und her, macht Taschen leer“. Das stimmt. Eine Krise ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um seine Strategie zu ändern. Da sollte man allenfalls rebalancieren. Erst wenn die Krise vorbei ist, kann man sich fragen, ob die eigene Strategie noch die Richtige ist.

Die aktuelle Krise unterscheidet sich stark von früheren, weil Donald Trump diese Krise tatsächlich selbst verursacht hat. Spricht das für einen aktiveren Einsatz bei der Geldanlage, weil Menschen Trumps Verhalten möglicherweise besser antizipieren können als Algorithmen?
Die kurze Antwort ist: nein. Niemand kann Trump antizipieren. Durch meine Arbeit in einem Heim für Geistigbehinderte nach dem Abitur habe ich viele geisteskranke Menschen kennengelernt. Aber: Mir hat die Zeit immerhin geholfen, mit erratischen Menschen umzugehen. Man lernt dort, sich auf jeden Menschen einzustellen.
Und was haben sie gelernt?
Ich habe gelernt, wie man deeskaliert. Wichtig ist: Man darf sich nicht verrückt machen lassen, sondern muss erkennen, wann diskutieren Sinn macht, und wann nicht. Die Schweiz macht es zum Beispiel aus meiner Sicht richtig und bleibt erst mal ruhig – weil sie weiß, dass sie als kleines Land kaum etwas zu gewinnen hat.
Und wie finden Sie die Reaktion der EU, die Zollerleichterungen angeboten hat?
Europa sollte mit anderen Ländern an neuen Freihandelszonen arbeiten. Dann kann Donald Trump live zuschauen, wie wichtig Freihandel ist. Aus meiner Sicht waren die Betrogenen in den vergangenen Jahren nicht die USA, sondern alle anderen Länder. Die Amerikaner haben konsumiert, und im Gegenzug haben diese Länder amerikanische Staatsschulden erhalten, die immer weniger wert werden. Das ist doch kein fairer Deal.
Donald Trump weist aber auch immer auf die Schulden hin, die aus seiner Sicht unbedingt abgebaut werden müssen. Ist das tatsächlich so, schließlich ist der Dollar doch die globale Leitwährung?
Nein, unser Finanzsystem basiert auf den Schulden der USA. Quasi alles wird darüber abgewickelt. Man kann das zwar bedauern, aber es gibt durchaus Argumente für eine globale Leitwährung. Und der größte Profiteur davon waren die Amerikaner selbst, auch wenn Trump das anders darstellt. Nur so war der riesige Konsum überhaupt möglich.

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Schauen wir noch einmal auf die Märkte. Die Zoll-Entscheidung ist jetzt schon einige Tage her. Warum ging der Absturz zu Wochenbeginn weiter?
Die initiale Reaktion geschah am Donnerstag und Freitag durch Profiinvestoren. Die Reaktion am Montag kam von Privatanlegern, die am Wochenende Zeit hatten, die Nachrichten nachzuholen. Ich glaube, jetzt haben wir vorerst das Schlimmste überstanden – sofern es keine neuen schlechten Nachrichten gibt.
Es gilt also noch der Kontraindikator, dass das Schlimmste überstanden ist, sobald Privatanleger auf Börsennachrichten reagieren?
Nein, so einfach ist das nicht. Das Gefährliche sind jetzt die Pensionskassen. Wenn die in die gesetzliche Unterdeckung laufen – das heißt, wenn ihr Vermögen weniger als 90 bis 100 Prozent der Verpflichtungen beträgt – dann gibt es eine zweite Welle, die kaum jemand aufhalten kann. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt, aber falls wir in Bereiche von minus 40 Prozent und mehr kommen, rollt diese zweite Welle. Erst einmal bleibe ich aber optimistisch, dass wir das nicht sehen werden.
Lohnt sich ein Blick auf Volatilitätsindizes wie den VIX oder den Fear&Greed-Index, um eine Bodenbildung zu antizipieren?
Nicht wirklich, das ist für mich Astrologie – und letztlich haben clevere Physiker schon lange bessere Modelle für die Volatilität entwickelt. Letztlich ist es einfach: Man muss auf die Verfallsrate schauen. Erst gibt es einen harten Schock, dann einen kleineren, dann noch einen und irgendwann läuft der Markt seitwärts. In diese letzte Phase dürften wir jetzt langsam eintreten, wenn keine neuen Nachrichten auftauchen.

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Grundsätzlich scheint es, dass die Bewegungen an den Aktienmärkten deutlich zackiger sind als in der Vergangenheit. Ist das nur anekdotisch oder reagieren die Märkte tatsächlich stärker auf Nachrichten als früher?
Das ist definitiv so, weil die Signale deutlich verfügbarer sind und man direkt an Plattformen angeschlossen ist. Das ist nicht anders als im realen Leben auch. Die Flut der Nachrichten trifft uns überall.
Donald Trump wird wohl noch vier Jahre im Amt bleiben, und hat schon jetzt eine ganze Menge Porzellan bei Investoren zerschlagen. Müssen wir uns auf vier Jahre Unsicherheit einstellen und was heißt das für das Portfolio?
Ich denke, wir haben diese Krise bis Ende des Jahres verdaut. Es werden jetzt eine Menge Gegenreaktionen diskutiert, aber am Ende glaube ich an einen Deal oder ein Zurückschrecken zahlreicher Länder vor den USA. Die Zölle werden herunterkommen, wenngleich nicht auf null. Damit können die Märkte dann arbeiten, auch wenn Trump eine Sache lernen wird: Mit Zöllen wird sein Handelsbilanzdefizit nicht schrumpfen.
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