In zehn Minuten zum neuen Handy – dank moderner Tagelöhner
Mohammad Faij ist hart im Nehmen, aber jetzt hat selbst er genug: Der 24-Jährige streikt mit seinen Kollegen. In ihren leuchtend orangen Hemden, dem Markenzeichen einer bekannten indischen Liefer-App, stehen die jungen Männer an einer belebten Strasse in Mumbai – und schimpfen.

«Sie wollen uns nur noch 40 statt 60 Rupien für eine fünf Kilometer lange Fahrt geben», sagt Mohammad Faij. Das sind umgerechnet lediglich gut 40 Rappen. «Davon müssen wir noch das Benzin bezahlen. Wie soll das gehen?»
Liefer-Apps beschäftigen schätzungsweise 20 Millionen Menschen
Der studierte Wissenschaftler Mohammad Faji gehört zu der wachsenden Gruppe moderner Tagelöhner, die in Indiens Städten innert Minuten Waren ausliefern, die Kundinnen und Kunden per App zu Hause bestellen. Schätzungen zufolge arbeiten bereits 20 Millionen Menschen für solche Lieferdienste, Tendenz steigend. «Ich bekomme keine andere Arbeit», sagt Mohammad Faij.
Indien bietet ideale Bedingungen für den superschnellen Handel: Es gibt grosse, dicht besiedelte Städte, keine grossen Supermärkte, ein Überangebot an billigen Arbeitskräften und viele Menschen, die ihre Einkäufe wegen Hitze, Smog und chaotischem Verkehr zunehmend von zu Hause aus erledigen wollen, per App.

Für Mohammad Faij und viele andere Inder sind Liefer-Apps wie Zomato, Swiggy oder Zepto wichtige Arbeitgeber – obwohl sie nicht bei diesen angestellt sind, keinerlei Sozialleistungen bekommen und Miete und Benzin für ihr kleines Liefermotorrad selbst bezahlen müssen.
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf ist ein Drittel der indischen Universitätsabsolventen arbeitslos. Und von denen, die eine Arbeit finden, verdienen viele so wenig, dass es nicht zum Leben reicht.
15 Stunden Arbeit pro Tag – keine Sozialleistungen, Hitze und Stress
Daran gemessen ist Mohammed Faij gut dran: Er verdiene bis zu 25'000 Rupien im Monat, umgerechnet knapp 260 Franken. Das liegt deutlich über dem indischen Durchschnittslohn. Aber dafür müsse er 15 Stunden pro Tag arbeiten – in der Hitze, im dichten Verkehr, mit all dem Stress.
Manchmal traue er sich nicht einmal, Mittag zu essen, sagt der junge Mann. Er habe Angst, eine Bestellung zu verpassen. Mindestens 30 Lieferungen pro Tag muss er schaffen, nur dann gebe es eine kleine Zulage.

Indische Liefer-Apps versprechen Kunden Lieferzeiten von zehn Minuten oder weniger. Doch im dichten Verkehr könne er das Versprechen oft nicht einlösen, sagt Mohammad. Dann seien die Kunden verärgert.
Keinerlei Druck, mehr zu bezahlen
Ein paar Meter weiter an der Strasse steht Manager Jatin Naik. Er findet die Bezahlung sehr «ausgewogen». Der durchschnittliche Lohn liege bei umgerechnet zehn Franken pro Tag – das sei genug.
Der Manager weiss, dass es keinerlei Druck gibt, mehr zu bezahlen: Es gibt genügend arbeitslose junge Menschen in Indien.

Jatin Naik spricht lieber über Wachstum als über Löhne. In den nächsten zwei, drei Monaten werde der orangefarbene Lieferdienst noch mehr sogenannte «dark stores» in der Stadt eröffnen – das sind Lagerhallen für die Waren. Dann könnten die Kundinnen und Kunden noch schneller beliefert werden. Und die Lieferdienste könnten noch mehr junge Leute wie Mohammad einstellen, die schon zufrieden sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke