"Dass Trump uns die Pistole auf die Brust setzt, ist Glück im Unglück"
500 Milliarden Euro für Infrastruktur plus Lockerung der Schuldenbremse: Die deutsche Wirtschaft begrüßt das Finanzpaket von Union und SPD. Im Interview erklärt Kapitalmarktstratege Robert Halver, wieso Geldregen allein Deutschland nicht voranbringt und wie groß die Erwartungen am Markt sind.
ntv.de: Union und SPD haben sich auf ein Finanzpaket mit noch nie da gewesenem, aus Schulden finanzierten Volumen verständigt. Das gibt dem Dax einen ordentlichen Schub. Der deutsche Börsenleitindex notiert zum Start 2,5 Prozent fester. Werden die Aufschläge von Dauer sein?
Robert Halver: Ja, davon gehe ich aus. Die Summe, die jetzt investiert werden soll, beläuft sich inklusive der Ausgaben für Rüstung schließlich auf etwa 700 Milliarden Euro. Das ist schon ein echter Doppel-Wumms. Es macht Sinn, dass jetzt massiv investiert wird, und außerdem könnte die Regierung theoretisch noch nachlegen. Jahrzehntelang wurde die Infrastruktur beispielsweise links liegen gelassen. Wenn Investitionen jetzt nachgeholt werden, ist das für diese Unternehmen sicherlich für mehrere Jahre eine sehr lohnende Sache.
Einige Ökonomen bezeichnen die Pläne als "Gamechanger" oder "echte Zeitenwende für die Finanzpolitik". Gehen Sie mit?
Absolut. Wenn ein Land wie Deutschland sagt, wir wollen das Wirtschaftspotenzial steigern, indem wir unsere marode Infrastruktur modernisieren und auf Produktivität achten - also alles dafür, tun, damit der Investitionsstandort Deutschland wieder attraktiv wird für Investoren - dann sind das gute Schulden.
Kritiker sagen, der Geldregen allein bringt Deutschland nicht weiter. Wir reihen uns in die lange Schlange an Schuldenländern ein.
Dazu muss man sagen: Wir können uns die Schulden ja leisten. Die Verschuldungsquote zur Wirtschaftsleistung liegt bei gut 60 Prozent. Davon können andere Länder nur träumen. Außerdem verbessern andere Länder ihre Standortfaktoren auch mit Schulden. Da können wir nicht einfach sagen: Da machen wir nicht mit. Von daher sind wir im Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit gezwungen, mitzuziehen. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Dass US-Präsident Trump uns jetzt die Pistole auf die Brust setzt, ist Glück im Unglück. Jetzt gilt das Motto: Not macht erfinderisch. Wir müssen alles dafür tun, um unsere deutschen Wirtschaftstugenden wiederzubeleben.
Schulden können dem Aktienmarkt doch aber nicht egal sein?
Es bringt nichts, wenn wir uns kaputtsparen. Davon wird die Infrastruktur auch nicht besser. Ohne massive Schulden aufzunehmen, können wir unser Wirtschaftspotenzial nicht heben. Aber klar: Deutschland allein mit Geld zu überfluten, hilft auch nicht. Es ist wichtig, dass gleichzeitig die Vergabe von Baugenehmigungen reformiert, Bürokratie abgebaut, Planungssicherheit erhöht wird und Energieversorger vernünftige Preise anbieten können. Wenn die Reformen nicht stimmen, kann all das Geld nicht optimal wirken. Wir brauchen dringend Reformen. Es geht nicht allein darum, jetzt Geld hineinzublasen.
Wie groß sind die Erwartungen am Markt?
Die Erwartungen sind groß. Schließlich reden wir seit Jahren darüber, wie marode unsere Infrastruktur ist. Und machen wir uns nichts vor: Der Börsianer denkt immer an den schnöden Mammon. Sollten Unternehmen in Zukunft besser ausgelastet sein und wieder von einem stärkeren Heimatbezug profitieren, ist das für den Dax, aber insbesondere für die Industrieunternehmen in der zweiten Reihe, im MDax, natürlich positiv.
Die Pläne für ein Sondervermögen für die Infrastruktur sehen Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro vor. Die Baubranche spricht von einem möglichen Befreiungsschlag. Hat der Sektor überhaupt Kapazität für etwaige Projekte?
Viele Konzerne sind international tätig. Sollte in Deutschland schon bald die Post abgehen, dann werden Arbeitskräfte, die momentan im Ausland beschäftigt sind, zurückgeholt, damit sie hier arbeiten. Sicherlich muss das Geld erstmal umgesetzt werden. Das geht auch nicht von heute auf morgen. Dieses Mammutprojekt ist nicht in einem halben Jahr verfrühstückt. Deshalb mein Appell: Genehmigungen vereinfachen und Bürokratie radikal abbauen. Sonst kommt das Geld nicht wirklich in die fruchtbare Erde. Und aus dem Doppel-Wumms wird nur ein Wümmschen.
Welche Branchen könnten neben Rüstung und Bau indirekt profitieren, wenn die deutsche Wirtschaft wieder stärker wächst?
Von einer starken Wirtschaft profitiert jede erdenkliche Branche. Gerade Infrastruktur ist für eine Volkswirtschaft das A und O. Sie wirkt wie ein Multiplikatoreffekt, von dem der gesamte wirtschaftliche Kreislauf betroffen ist. Wenn wieder mehr verdient wird, profitieren auch die Konsumwerte davon, weil wieder mehr Geld ausgegeben wird.
Kommt damit die Stagnation der deutschen Wirtschaft jetzt zu einem Ende?
Davon gehe ich aus. Die Rüstungsausgaben bringen sicherlich ein Wirtschaftswachstum, aber insbesondere das Infrastrukturpaket auch. Wie gesagt, Reformen müssen auch her. Sind wir mal optimistisch: Wenn jetzt investiert wird in Deutschland und Unternehmen hierzulande wieder Geschäfte machen wollen, wird diese Lähmung aufhören.
Wird die deutsche Konjunktur in Zukunft dann wieder eine größere Rolle für die Dax-Werte spielen?
Die Dax-Werte picken sich das raus, was gut ist. Einige von ihnen machen mehr als die Hälfte ihrer Umsätze mittlerweile außerhalb von Europa. Die werden die Investitionen in Deutschland gerne mitnehmen, aber sie hängen vor allem an der Weltkonjunktur. Ich glaube eher, der MDax mit seinem starken Heimatbezug wird profitieren. Dort sitzen unsere Perlen der Industriekultur. Dass die Zahlen im Dax heute so gut sind, hängt auch damit zusammen, dass die Zölle von Trump nicht so heiß gegessen werden, wie sie gekocht worden sind.
Mir Robert Halver sprach Juliane Kipper
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