Während die neuen Grundsteuerbescheide in Hamburg erst diesen Monat verschickt werden, präsentiert Berlin bereits eine Zwischenbilanz der Jahrhundertreform. „Alle Zahlen, die uns aktuell vorliegen, belegen: Die angestrebte Aufkommensneutralität ist in Berlin gelungen“, sagte Finanzsenator Stefan Evers. Berlin habe zur Reform der Grundsteuer immer gesagt: Das Wohnen soll im Durchschnitt nicht teurer werden. Diesen Beweis sieht Evers mit Blick auf die Steuereingänge im Februar erbracht.

Am ersten von vier Zahlungsterminen eines Jahres verzeichnete die Hauptstadt demnach Grundsteuereinnahmen in Höhe von 173 Millionen Euro. Vor einem Jahr, also vor der Reform, waren es 175 Millionen Euro und damit sogar zwei Millionen Euro mehr. Bei den für 2025 insgesamt durch die Bescheide festgesetzten Steuern weist der Senat zwar eine Erhöhung um ein knappes Prozent gegenüber 2024 aus. Dies begründet er aber mit den Neubauaktivitäten in der Stadt.

Da Berlin am schnellsten mit dem Versenden der Grundsteuerbescheide war, hatten die Bescheide hier auch für den ersten großen Aufschrei im Land gesorgt. Viele Eigentümer schauten Ende vergangenen Jahres ungläubig auf ihren Bescheid: Für ein neu gebautes Eigenheim am Rand von Berlin beispielsweise sollten statt 273 Euro plötzlich 913 Euro im Jahr fällig werden. Für eine Altbau-Mietwohnung im Innenstadtbereich stieg die Steuer von 136 Euro auf 950 Euro – nahezu das Siebenfache.

Solche Bescheide wollten nicht zu dem Versprechen der Politik passen, allen voran des damaligen Finanzministers Olaf Scholz (SPD), dass die 2019 beschlossene Reform „aufkommensneutral“ erfolgen werde. Die Kommunen würden die vom Verfassungsgericht verlangte Umstellung der Berechnungsmethode nicht dafür nutzen, die Einnahmen in neue Höhen zu treiben.

An den Berliner Zahlen zeigt sich exemplarisch, warum das Versprechen von der „Aufkommensneutralität“ auf der einen Seite und höhere Beträge auf den Grundsteuerbescheiden auf der anderen Seite kein Widerspruch sein muss. Unter dem Strich kommt bei den Einnahmen für die Stadt das Gleiche wie im Vorjahr heraus, doch einzelne Eigentümer zahlen mehr, andere dafür weniger – je nach Lage, Wertentwicklung, Baujahr und Art der Immobilie.

Berlin orientiert sich wie zehn andere Bundesländer an dem komplexen Bundesmodell, das neben dem Bodenrichtwert unter anderem eine fiktive Miete, das Baualter, die Wohnfläche und andere Merkmale berücksichtigt. Baden-Württemberg nutzt ein Bodenwertmodell, Bayern rechnet nur die Flächen aus, Hessen, Niedersachsen und Hamburg nutzen Fläche-Lage-Kombinationen. Unabhängig der genauen Formel ergibt sich in allen Modellen ein neuer Grundsteuerwert, der mit der Steuermesszahl und dem kommunalen Hebesatz multipliziert wird.

Berlin hat die zu erwartenden Einnahmen in diesem Jahr für seine Finanzamtsbezirke aufgeschlüsselt. Im Durchschnitt steigt die Grundsteuer am stärksten in den seit Jahren angesagten Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Pankow/Weißensee mit einem Plus von mehr als 30 Prozent. Sie liegen Großteils im Osten der Stadt. In den West-Bezirken Spandau, Tempelhof und Reinickendorf reduziert sich die durchschnittliche Steuer dagegen in diesem Jahr um durchschnittlich 30 Prozent und mehr.

Hier zeigt sich innerhalb einer Kommune eine Entwicklung, wie sie grundsätzlich in Deutschland zu erwarten ist: Es macht einen Unterschied, ob die Wohnung oder das Grundstück im Westen oder Osten des Landes liegen, in der alten Bundesrepublik oder der ehemaligen DDR. Das überrascht nicht. Schließlich störten sich die Richter des Bundesverfassungsgerichts 2018 an den niedrigen Einheitswerten, die in Westdeutschland aus dem 1964 waren, in Ostdeutschland sogar aus dem Jahr 1935 und damit tendenziell noch niedriger. Die Folge: Im Osten wurde über Jahrzehnte im Vergleich zum Westen zu wenig Grundsteuer gezahlt.

Steuereinnahmen steigen bei jüngerem Gebäudestand

Weitere Faktoren kommen hinzu: Zu diesen gehört die Steigerung der Verkaufswerte. Auch das wird am Beispiel Berlin deutlich. In angesagten Gegenden der Stadt wie Friedrichshain-Kreuzberg stiegen die Immobilienwerte in den vergangenen Jahren stärker als etwa in Tempelhof. Auch das Baujahr der Gebäude entscheidet: Bei einem jüngeren Gebäudebestand steigen die Steuereinnahmen, bei einem älteren sinken sie. Zumindest in Berlin führt auch dies dazu, dass die Steigerungsraten im Ostteil der Stadt höher als im Westteil sind, wurde im Osten doch seit dem Jahr 2000 deutlich mehr gebaut.

Neben den Fragen Ost oder West, Wertentwicklung und Baujahr kommt zumindest in Berlin noch ein Faktor hinzu. Hier entschied sich der Senat nicht nur mit Blick auf die versprochene Aufkommensneutralität, den Hebesatz von 810 Prozent auf 470 Prozent zu senken. Er führte auch unterschiedliche Steuermesszahlen ein, um die in der Regel höhere Belastung von Wohnimmobilien und niedrigere Belastungen von Gewerbeimmobilien anzugleichen. Für Wohngrundstücke gilt eine niedrigere Messzahl als etwa für Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke. Dies führt schon einmal zu unterschiedlichen Steigerungsraten.

Hinzu kommt, dass bis zur Reform in Berlin für Ein- und Zweifamilienhäuser ermäßigte Messzahlen galten. Für ein 100-Quadratmeter-Einfamilienhaus wurde deutlich weniger Grundsteuer fällig als für eine gleich große Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Da nun für alle Wohngrundstücke der gleiche Multiplikator gilt, werden Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern relativ stärker belastet.

Grundsätzlich zeigt Berlin auch: Einfacher ist die Berechnung der Grundsteuer durch die Reform nicht geworden. Ob sich diese noch einmal ändert, wird nicht zuletzt von Richtersprüchen bis hinauf zu den höchsten Gerichten abhängigen, die in den nächsten Jahren zu erwarten sind.

Finanzsenator Evers drängt unabhängig davon auf eine umfassende Evaluierung der Reform. Dafür warte er auch auf die Erfahrungen in anderen Bundesländern, wie er sagte. Gerade auch in solchen, die sich nicht für das Bundesmodell entschieden haben. Die nächste reguläre Überprüfung der Grundsteuerwerte steht bundesweit 2029 an.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.

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