Das schwere Erbe der Autokratin
Auf dem Platz vor dem Shaheed Minar, einem Denkmal für Opfer früherer Studentenproteste mitten in Dhaka, ist die Stimmung angespannt: Auf einer Seite bringen sich Polizisten in Stellung, bewaffnet mit Schlagstöcken und Gewehren. Auf der anderen Seite sammeln sich Studierende, entrollen Transparente, rufen zur Demonstration auf – eine unter vielen in diesen Tagen.

«Wir fordern Sicherheit und den Schutz vor sexueller Belästigung von Frauen», sagt Musik-Studentin Shima. Die Aktivistin hat den Protest organisiert. Die 24-Jährige gibt der Interimsregierung unter Muhammad Yunus die Schuld an der unsicheren Lage im Land. Sein Innenminister sei faul und die Polizei mache gar nichts.
«Die Situation ist gefährlicher als im Juli und August. Damals kämpften wir gegen Sheikh Hasina und die Awami League. Heute kennen wir unsere Feinde nicht», sagt Shima.
So viele Morde und Diebstähle wie seit fünf Jahren nicht
Belästigungen seien an der Tagesordnung. Shima selbst werde auf Social Media anonym Vergewaltigung und Tod angedroht, weil sie politisch aktiv sei, sagt sie.
Die jüngste Kriminalstatistik bestätigt ihre Aussage. Allein im Januar gab es in Bangladesch so viele Morde, Diebstähle und Raubüberfälle wie seit fünf Jahren nicht mehr. Auch die Zahl anonymer Mob-Attacken steigt.
Das beunruhigt auch Wirtschafts-Studentin Najiba. Aber die 22-Jährige sagt auch: «Früher durften wir gar nicht demonstrieren und öffentlich unsere Meinung äussern.» Sie hoffe jetzt einfach, dass es die Übergangsregierung wie versprochen schaffe, freie und faire Wahlen vorzubereiten.
Polizei schlägt Journalist spitalreif
Fünf Autominuten weiter. Der Journalist Azharul Islam ist bereit zu sprechen, aber nur versteckt hinter zwei Bussen. Der 26-Jährige hat Angst. In Bangladesch sei die Medienfreiheit immer sehr begrenzt gewesen, vor allem unter Sheikh Hasina, sagt er. Er habe die Hoffnung gehabt, nach dem Machtwechsel frei arbeiten zu können. Doch diese Hoffnung sei bisher nicht aufgegangen. Die Polizei mache einfach weiter wie vorher.

Azharul Islam erzählt von einem Erlebnis Anfang Februar: Er habe live über eine Studierenden-Demonstration berichtet, als ihn plötzlich Polizisten mit Stöcken auf Hände und Beine geschlagen hätten. Er sei verletzt worden und zu Boden gefallen, sagt Azharul. Kollegen hätten ihn daraufhin ins Spital gebracht. Es ist kein Einzelfall.
«Interimsregierung braucht mehr Zeit»
Die internationale Organisation «Reporter ohne Grenzen» beobachtet eine Zunahme gewalttätiger Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten seit Anfang Februar. Redaktionen würden gestürmt, Journalistinnen und Journalisten mit Gummiknüppeln, Messern oder Hämmern angegriffen.
Was Journalist Azharul Islam trotzdem nicht will: Regierungschef Muhammad Yunus für die Missstände verantwortlich machen.
Es ist nicht möglich, alles innerhalb von einem halben Jahr zu reparieren. Es braucht mehr Zeit.»
Die alte Regierung sei faschistisch gewesen und habe in 15 Jahren die Staatsinstitutionen zerstört. Es sei nicht möglich, alles in einem halben Jahr zu reparieren. Es brauche mehr Zeit. Doch nicht alle sind so geduldig mit der Interimsregierung.
In seinem Büro im Geschäftsviertel Shantinagar im Zentrum Dhakas nimmt sich Yyotirmoy Barua Zeit für ein Gespräch. Der renommierte Menschenrechtsaktivist und Anwalt am Obersten Gerichtshof, der früher Regimegegner verteidigt hat, ist sehr kritisch gegenüber der Interimsregierung.

«Die Sicherheitslage ist sehr schlecht. Wir haben im August erwartet, dass die Interimsregierung die Lage in den Griff bekommen würde.» Aber den unbändigen Mob könne sie nicht kontrollieren. Sie täte gar nichts. Und ermuntere ihn dadurch noch.
Keine Rechtfertigung für Rache und Selbstjustiz
Als Beispiel nennt Yyotirmoy Barua den Angriff auf das Haus von Sheik Mujibur Rahman, dem Vater der vertriebenen Autokratin Sheikh Hasina. Er wurde als Begründer der Unabhängigkeit Bangladeschs und Gründer der Awami League als Volksheld gefeiert. Doch im letzten Monat brannte eine wütende Menge sein Haus in Dhaka ab. Es war die Reaktion auf eine umstrittene Rede seiner Tochter aus dem indischen Exil.
Der Polizeiapparat hätte längst reformiert werden müssen.
«Wir sehen ganz klar die politische Wut auf die Awami League und was sie getan hat», sagt der Anwalt. «Aber das kann keine Rechtfertigung für Rache und Selbstjustiz sein. Ein Mob kann nicht die reguläre Justiz ersetzen.» Seine Empfehlung? Der Polizeiapparat hätte längst reformiert werden müssen, sagt Yyotirmoy Barua.
In der Bevölkerung sei die Polizei verhasst, weil sie direkt in die Massenmorde im Juli und August verwickelt gewesen sei. Die Aussöhnung hätte nach mehr als einem halben Jahr längst erfolgen müssen. Aber bislang sei kein einziger Täter identifiziert worden.
«Operation Teufelsjagd» gegen Anhänger der früheren Regierungspartei
Es ist nicht so, dass Dr. Yunus' Interimsregierung gar nicht reagiert hätte. Anfang Februar lancierte die Interimsregierung unter Muhammad Yunus die «Operation Teufelsjagd». Tausende vermeintliche sogenannte «Teufel» wurden inzwischen festgenommen, Medienberichten zufolge vor allem Mitglieder der früheren Regierungspartei Awami League.
Menschenrechtsaktivist Yyotirmoy Barua kritisiert die Aktion scharf: Im Rahmen der Teufelsjagd habe die Armee bereits zwei Menschen getötet. Willkürliche Tötungen seien nicht der richtige Weg, um die Sicherheit im Land wiederherzustellen.
In Dhakas Minto Road ist von der Teufelsjagd nichts zu spüren. Das parkähnliche Areal ist als «Nachbarschaft der Minister» bekannt. Hier stehen hübsche kleine Villen, in denen bis vor wenigen Monaten noch Sheikh Hasinas Getreue regierten – bis die Juli-Bewegung sie hinausjagte.
Inzwischen sind die Ministerinnen und Minister von Dr. Yunus Übergangsregierung hier eingezogen. Einer davon ist Asif Mahmud. Der 26-Jährige ehemalige Studierendenführer ist jetzt Minister für Jugend und Sport.

Asif Mahmud sagt, er sei stolz auf das Erreichte. Ob er verstehen könne, dass viele im Land nach sieben Monaten ohne Reformen ungeduldig werden?
Selbst Wohlwollende verlieren die Geduld
Könne er, sagt der Minister. «Nach Revolutionen haben die Menschen naturgemäss hohe Erwartungen. Sie wollten Ergebnisse sehen für die Opfer, die sie gebracht haben. Aber das braucht nun mal eine gewisse Zeit.»
Selbst die Wohlwollenden verlieren langsam die Geduld mit Muhammad Yunus und seinem Team. Fast täglich gibt es Demonstrationen. Doch die Einigkeit der Juli-Bewegung im Kampf gegen die Autokratin verflüchtigt sich.
Politische Parteien und religiöse Gruppen positionieren sich, Wirtschaft und Opposition drängen auf frühe Wahlen. Arbeitslose Textilarbeitende fordern neue Jobs und tiefere Preise. Und Autokratin Sheikh Hasina ist noch nicht aus der Welt.
Dr. Yunus braucht also grosse Heilkräfte, um Bangladesch in eine demokratische Zukunft zu führen.
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