Mehrere Mitarbeiter der Gigafactory in Grünheide des Autobauers Tesla haben zuletzt offenbar ein äußerst merkwürdiges Schreiben ihres Arbeitgebers erhalten. „Zweifel an den eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen“ soll laut „Handelsblatt“ in der Betreffzeile gestanden haben.

Der Inhalt der Schreiben ist nicht weniger brisant. So zweifelte Tesla darin offenbar die ärztlichen Atteste von krankgeschriebenen Mitarbeitern an und kündigte an, Lohnfortzahlungen auszusetzen. Die IG Metall bestätigte laut „Handelsblatt“, dass es sich bei diesen Schreiben nicht um Einzelfälle handle.

„Tesla zweifelt in großem Umfang ärztliche Atteste an, verweigert die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und behält Entgelt ein“, wird IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze zitiert. Tesla wollte sich laut dem Bericht nicht zu den Vorwürfen äußern.

Seit Monaten tobt in Deutschland eine Debatte über die hohe Krankenstandsquote von Angestellten. Befeuert wird sie regelmäßig von Unternehmenslenkern. So echauffierte sich Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius bereits im Vorjahr, dass der Krankenstand in den deutschen Werken des Konzerns teils mehr als doppelt so hoch wie an anderen Standorten sei.

Im Januar legte Allianz-Chef Oliver Bäte mit der Forderung nach, dass Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen sollen.

Dass die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage in Deutschland überdurchschnittlich hoch ist, belegen die Daten der Krankenkassen. Die jüngste Auswertung legte die AOK vor. Demnach waren die AOK-Versicherten im Jahr 2024 durchschnittlich 23,9 Tage ausgefallen.

Die Zahl liegt etwa auf dem Niveau von 2023 und leicht unter dem bisherigen Höchststand im Jahr 2022, in dem 24,5 Fehltage registriert wurden. Brisant ist vor allem der internationale Vergleich. So hat Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Ländern die siebthöchste Krankenstandsquote.

Auch angesichts der Koalitionsverhandlungen gewinnt die Diskussion über die hohe Krankenstandsquote in Deutschland an Schärfe. So drängt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf eine Kürzung der Lohnfortzahlung und fordert eine Reform der Lohn- und Gehaltsfortzahlung.

Lohnfortzahlung kostet deutsche Unternehmen 77 Milliarden Euro im Jahr

Welche Folgen die krankheitsbedingten Ausfälle von Mitarbeitern haben, rechnete zuletzt die BDA vor. So hätten die Arbeitgeber im Jahr 2023 rund 77 Milliarden Euro für die Lohnfortzahlung ihrer erkrankten Beschäftigten aufbringen müssen. Laut BDA sei es daher wichtig, Maßnahmen zur Kostensenkung anzugehen. „Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den hohen Krankenstand und die hohen Kosten der Lohnfortzahlung zu reduzieren. Ein Karenztag am ersten Tag der Erkrankung ist ein möglicher Weg“, heißt es in dem Positionspapier der Bundesvereinigung.

Einen anderen Weg sieht die BDA darin, die Höhe der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent zu senken. Zudem fordert die BDA, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf sechs Wochen pro Kalenderjahr begrenzt werde.

Auch gegen Missbrauch will die BDA mobil machen. So verweist die Bundesvereinigung auf eine Erhebung aus dem Jahr 2023, wonach sich sechs von zehn Beschäftigten in Deutschland bei leichten Krankheitssymptomen krankmelden würden, auch wenn sie arbeitsfähig wären. „Dieser Missbrauch muss eingedämmt werden“, heißt es von der BDA. Dazu fordert sie eine Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten des Medizinischen Dienstes (MD).

OECD-Gesundheitsökonom Christopher Prinz kritisiert die Position der BDA als „höchst einseitig“. Zudem würde die Bundesvereinigung den tatsächlichen Missbrauch des Krankenstands überschätzen. „Wir sehen große Vorteile in einer mehrwöchigen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, weil das starke Anreize setzt für die Prävention, ein gutes Return-to-Work-Management und ganz allgemein für die Schaffung guter Arbeitsbedingungen“, so Prinz.

Zwar stimmt Prinz den Forderungen der BDA nach mehr Kontrollmöglichkeiten durch den MD und einer Begrenzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf sechs Wochen pro Kalenderjahr zu. Die Einführung von Karenztagen, bei denen Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen, bezeichnet er hingegen als „ziemlich punitiv“.

So könnten Karenztage laut Prinz dazu führen, „dass sich Arbeitnehmer gleich eine ganze Woche krankmelden“ würden. Das hätte etwa eine Studie aus Schweden gezeigt. Als Alternative schlägt Prinz vor, die Kosten für die Fortzahlung des Lohns von Beginn an oder ab zwei bis drei Wochen zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung zu teilen.

Auch wenn die Diskussion um den Krankenstand schärfer wird, gehören innerbetriebliche Eskalationen wie bei Tesla in Grünheide offenbar zur Ausnahme. So teilt die IG Metall mit, keinen allgemeinen Trend zu erkennen, dass in Betrieben Krankheiten der Beschäftigten angezweifelt würden.

„Zweifel an Attesten werden allenfalls in absoluten individuellen Ausnahmefällen formuliert“, teilt die IG Metall mit. Auch der MD, der im Auftrag der Krankenkassen Begutachtungen zur Arbeitsunfähigkeit durchführt, spricht von rückläufigen Zahlen. So habe der MD im Jahr 2023 rund 13.600 Begutachtungen zur Arbeitsunfähigkeit wegen Zweifel des Arbeitgebers durchgeführt. Im Jahr 2022 lag dieser Wert noch bei rund 15.200 Fällen. Zahlen für das Jahr 2024 liegen noch nicht vor.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit den Schwerpunkten Gesundheit und Bauwirtschaft.

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