Deutschland rutscht in der Containerschifffahrt auf Rang drei
Viele Jahre lang waren Deutschland – war vor allem Hamburg – das Zentrum der globalen Containerschifffahrt. Nach dem weitgehenden Zusammenbruch der Schiffsfinanzierungs-Branche blieb Deutschland immer noch auf Rang eins, mit der größten Flotte von Containerschiffen im Eigentum deutscher Unternehmen. Das hat sich im vergangenen Jahr geändert. Die Schweiz steht nun in der Containerschifffahrt auf Rang eins, gefolgt von China und Deutschland. Insgesamt rangiert die deutsche Handelsflotte über alle Schiffstypen hinweg weiterhin auf Rang sieben. Das gab der Verband Deutscher Reeder (VDR) am Dienstag bei seiner Jahrespressekonferenz in Hamburg bekannt.
Hauptgrund für das veränderte Ranking ist vor allem das starke Flottenwachstum der weltgrößten Reederei MSC. Das Unternehmen des italienischen Gründers und Eigners Gianluigi Aponte hat seinen Hauptsitz in Genf. Seit dem vergangenen Jahr ist MSC neben der Stadt Hamburg auch der zweitgrößte Anteilseigner am Hamburger Hafenlogistik-Konzern HHLA, mit einem angestrebten Anteil von bis zu 49,9 Prozent. Hamburg hält noch 51,1 Prozent an der HHLA.
Das zunächst vielleicht skurril anmutende Detail der Schweiz als neuer „Supermacht“ der Containerschifffahrt hat einen handfesten Hintergrund. Vor allem die erratische Politik des wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump setzt das Welthandelssystem derzeit stark unter Stress. Hinzu kommen etliche andere Krisenherde wie der andauernde Beschuss des Roten Meeres durch die jemenitische Huthi-Armee und die Umleitung der Handelsschiffe um Südafrika herum, zudem Russlands Krieg gegen die Ukraine und die dadurch angespannte Lage zwischen Europa und Russland in der Ostsee und auch Chinas anhaltende Aggression gegen Taiwan.
„Der Worst Case ist das neue Normal geworden“, sagte VDR-Hauptgeschäftsführer Martin Kröger. „Ob die Nato noch in der Lage sein wird, uns auf den Seewegen zu schützen, sei mal dahingestellt. Europa jedenfalls ist jetzt auf sich allein gestellt.“ In dieser Situation sei es von entscheidender Bedeutung, dass eine Außenhandels-Nation wie Deutschland Zugriff auf eine leistungsfähige Handelsflotte behalte. „Als führende Exportnation und rohstoffarmes Land sind wir auf gesicherte und freie Handels- und Seewege angewiesen“, sagte Kröger. „Es bedarf einer konsequenten nationalen maritimen Sicherheitsstrategie, einer verstärkten Marinepräsenz und einer intensiveren Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und der Handelsflotte. Sicherheit kostet – Zögern kostet mehr. “
Gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Schifffahrt dürfte die Politik der neuen Trump-Administration allerdings kontraproduktiv für die USA sein, so, wie auch die Erhebung und Planung zahlreicher Zölle. Die USA wollen in ihrem latenten Handelskrieg mit China sämtliche Handelsschiffe, die in China gebaut worden sind, mit 500.000 bis 1,5 Millionen Dollar Strafzahlung je Anlauf in einem US-Hafen belegen. Sieben der zehn führenden Container-Linienreedereien setzen solche Schiffe ein. Die USA selbst wiederum besitzen derzeit nur rund 80 seegängige Handelsschiffe, von denen nur etwa 40 auch für Militärtransporte geeignet sind, schätzt der VDR. Diese Zahl wollen die Vereinigten Staaten in den kommenden zehn Jahren etwa vervierfachen. Zum Vergleich: Die deutsche Handelsflotte umfasst nach aktuellem Stand 1764 Schiffe aller Typen.
Aus Sicht des VDR wären Strafzahlungen für Hafenanläufe in den USA nicht nur – neben den Zöllen – ein weiteres Hemmnis für den internationalen Handel, sie würden auch das eigentliche Problem nicht beseitigen: „China ist heutzutage mit Abstand die weltweit größte Schiffbau-Nation“, sagt Kröger. „Dort werden Schiffe mit staatlicher Unterstützung gebaut. Doch dieses Subventionsproblem kann der Vorstoß der USA für Strafzahlungen in seinen Häfen ja gar nicht lösen – denn die davon betroffenen Schiffe sind ja bereits gebaut und unterwegs.“
Und es ist unwahrscheinlich, dass die Reedereien ihre Schiffe künftig woanders bauen lassen. Vor allem bei großen Containerschiffen oder Massengutfrachtern ist China längst der dominierende Anbieter. Rund 61 Prozent des gesamten globalen Orderbuchs für Handelsschiffe – gemessen an der Tonnage – entfalle derzeit auf chinesische Werften, bei den Containerschiffen seien es 73 Prozent: „Um China kommt man nicht herum“, sagte Kröger mit Blick auf die Reedereien, die dort Schiffe bestellen.
Auch am Krisenherd des Roten Meeres ist keine Entspannung in Sicht. Die mit Iran verbündeten und von dort unterstützten Huthi wollen die Handelsroute weiterhin beschießen, sie sehen das als Unterstützung der Hamas im Gaza-Krieg gegen Israel. Eine Rückkehr zur Fahrtroute durch den Suezkanal speziell auch für Containerschiffe auf den Linien zwischen Europa und Asien sehe sie derzeit nicht, sagte VDR-Präsidentin Gaby Bornheim, die hauptberuflich in der Geschäftsführung der größten deutschen Trampreederei Peter Döhle mit Sitz in Hamburg arbeitet:
„Und selbst wenn die Schiffe wieder durch den Suezkanal fahren, dürfte es drei bis sechs Monate lang dauern, bis sich die Fahrpläne der Linienreedereien dann wieder eingepasst haben“, sagte Bornheim. Der Umweg um Südafrika herum kostet je Richtung zehn Tage mehr Zeit, mehr Schiffe je Liniendienst und erhebliche Mengen an zusätzlichem Treibstoff.
Mit Blick auf Schiffe, die in den vergangenen Monaten mit treibenden Ankern Daten- und Energieleitungen in der Ostsee beschädigt haben, forderte der VDR strengste Disziplin von seinen Mitgliedsunternehmen. Schiffe, bei denen solches Fehlverhalten der Besatzungen nachgewiesen worden war, zählten in jüngerer Zeit mehrfach zur sogenannten russischen „Schattenflotte“ – das sind vor allem Tanker, die russisches Öl trotz Sanktionen der EU und der USA auf die Weltmärkte exportieren oder es zwischen Häfen transportieren. Auch mindestens ein Schiff unter chinesischer Flagge hatte mit seinem am Meeresboden schleifenden Anker eine Datenleitung in der östlichen Ostsee beschädigt.
Das Problem sei, dass nicht Russland selbst ältere Tanker oder Massengutfrachter von deutschen Reedereien kaufe, sagte Kröger. Oft seien Schiffsmakler zwischengeschaltet, zum Beispiel aus arabischen Staaten, die in keiner offensichtlichen Verbindung mit Russland stünden. „Wir drängen bei unseren Mitgliedsunternehmen auf ein strenges Screening bei Schiffsverkäufen“, sagte Kröger. Zudem müssten Reedereien, die Tanker verkaufen, dies auch dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) melden.
Kröger und Bornheim appellierten an die beteiligten Parteien, die über eine Koalition für die nächste Bundesregierung verhandeln – CDU/CSU und SPD – die deutsche Seeschifffahrt stark zu halten, besonders auch vor dem Hintergrund der multiplen Krisen. Weiterhin etwa arbeiteten die Reedereien daran, beim Klimaschutz voranzukommen. Das aber sei nur mit staatlicher Unterstützung möglich, etwa beim Aufbau eines Marktes für regenerativ erzeugte Treibstoffe wie „grünes“ Ammoniak oder „grünes“ Methanol.
„Der internationale Wettbewerb der Handelsflotten und Schifffahrtsstandorte ist hoch und dynamisch – der Konkurrenzdruck zunehmend spürbar“, sagte Kröger. „Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Handelsflotte langfristig sichern und konsequent insbesondere unseren maritimen Mittelstand stärken.“ Es sei „höchste Zeit, dass Europa und Deutschland ihre zweifelhafte Führungsrolle in überbordender Bürokratie und in regionalen Sonderregelungen ablegen“. Schlankere Prozesse und international einheitliche Klimaschutzauflagen seien „unabdingbar, um Deutschlands Wirtschaftskraft auf See zu sichern“.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die maritime Wirtschaft – Schifffahrt, Häfen und Werften – zählt zu seinen Schwerpunktthemen.
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